Titelbild Veranstaltungen

Die MS Gisela ist 100 Jahre alt

Von der Hafenbarkasse zum Regattaschiff

46 Jahre lang war die MS Gisela im Hamburger Hafen im Einsatz. Danach wurde sie vom Bodensee Yacht Club Überlingen gekauft und seitdem als Regatta- und Clubschiff eingesetzt.

Die MS „Gisela“ ist das Clubschiff des Bodensee Yacht Club Überlingen. Ursprünglich war sie eine Hafenbarkasse in Hamburg. Bild: Jäckle, Reiner
Bild: Jäckle, Reiner

VON REINER JÄCKLE (ZUM ARTIKEL)

Ihr leuchtendes Blau und die auffällige Form verleiht der MS Gisela ein sehr auffälliges

Erscheinungsbild. Aktuell sieht man ihr ihre 100 Jahre in keinster Weise an. Am Bodensee ist sie vor allem bei Seglern bekannt, denn der Bodensee Yacht Club Überlingen, der die Hafenbarkasse aus Hamburg 1968 gekauft hat, setzt es bis heute regelmäßig als Regattaschiff ein. Dabei fungiert sie als Start- und Zielschiff.

Eine bewegte Geschichte

Der Club feierte diesen Geburtstag mit seinen Mitgliedern und stieß bei einer Feierstunde mit einem Glas Sekt auf dieses Jubiläum an. Dabei blickten der erste Takelmeister und langjährige 2. Vorsitzende Fritz Eckl und der ehemalige Vorsitzende und heutige Archivar Ralf von Klösterlein auf die bewegte Geschichte der MS Gisela zurück. „Es war vor allem Heinz Eberhard Müller, den viele unter ‚U-BootMüller‘ kannten, zu verdanken, dass die Gisela angeschafft wurde“, erzählte Fritz Eckl. „Allerdings war das keinesfalls eine einstimmige Sache.“ Es gab im Vorfeld zahlreiche kontroverse Diskussionen und einen intensiven Schriftverkehr, bis der Kauf mit einer knappen Mehrheit beschlossen wurde. Für 15.000 Mark wechselte das Schiff vom Hamburger Hafen an den Bodensee. Aus der heutigen Sicht betrachtet, sei der überwiegende Teil des Clubs froh, dass die MS Gisela im Besitz des BYCÜ ist, so der erste Takelmeister, der von „meinem Baby“ über das Schiff spricht. Vor allem deshalb, weil sie immer wieder von Clubmitgliedern gechartert wird und auch für Ausfahrten mit dem Nachwuchs gerne eingesetzt werde.

Große Renovierung

2013 fand die letzte große Renovierung statt. Diese musste in der Werft im österreichischen Fussach gemacht werden, weil keine andere Werft am Bodensee die 15 Tonnen aus dem Wasser bekommt. Die jährlichen Unterwasserarbeiten können mittlerweile an der Kellerwerft in Überlingen erledigt werden. Dort kann die MS Gisela über die Schienen ins Trockene gezogen werden. „2020 wurden dort etwa 200 Kilo Muscheln entfernt und zwei kleine Leckstellen entdeckt, die geschweißt werden konnten“, berichtet Fritz Eckl.

Der Archivar und ehemalige Präsident des Bodensee Yacht Club Überlingen Ralf von Klösterlein (links) und der 2. Vorsitzende und erste Takelmeister Fritz Eckl (rechts), bei der Feierstunde. Bild: Jäckle, Reiner

MS Gisela als Fernsehstar

Die ehemalige Hafenbarkasse aus Hamburg wurde auch schon zum Fernsehstar, denn sie war Teil von Aufnahmen für die TV-Show „Verstehen Sie Spaß?“. Fritz Eckl fungierte damals als Schiffsführer. „Je länger die auf dem Schiff waren, desto weniger wollten sie wieder von Bord“, sagte er damals. Die Filmcrew aus Baden-Baden mit Moderator Guido Cantz heuerte er auch gleich als Matrosen an. Fritz Eckl übte sogar Knoten mit ihnen. „Die hatten anfänglich keine Ahnung“, erinnert er sich. „Doch die waren so motiviert, dass sie tatsächlich hervorragende Matrosen wurden.“ Gedreht wurde dabei nicht mit versteckter Kamera, sondern für eine Best-of-Sendung.

Die Zeit in Hamburg

Was die MS Gisela allerdings vor 1968 alles im Hamburger Hafen erlebte, das steht nicht hundertprozentig fest. Zunächst soll sie Besatzungsmitglieder der Schiffe und später dann Touristen im Hafen befördert haben, wie Ralf von Klösterlein berichtete. Dabei habe er sogar ein Schiff entdeckt, dass zwar von einer anderen Werft gebaut wurde, aber der Gisela zum Verwechseln ähnlich sehe: das Schiff MS Altona im Museumshafen Oevelgönne. „Sie ist vier Jahre jünger, hat aber außen und innen nahezu die identischen Maße.“ Die MS Altona ist lediglich schwarz gestrichen. Und von ihr gibt es durchaus Erkenntnisse, wie sie früher eingesetzt wurde. Sie war unter anderem als sogenannte „Lohntüten Barkasse“ im Hamburger Hafen unterwegs. Damals erhielten die Hafenarbeiter ihr Gehalt immer am Ende der Woche in einer Lohntüte. Diese wurden mit der „HHLA“, wie die MS Altona damals hieß, verteilt. „Das war schlichtweg der schnellste Weg, alle Arbeiter zu erreichen“, so Ralf von Klösterlein. „Ob die Gisela ebenfalls dazu eingesetzt wurde, ist allerdings nicht überliefert.“ Was allerdings klar ist, dass sie bei der letzten Zulassung in Hamburg noch 34 Personen befördern durfte. Am Bodensee sind nur noch 25 Personen zugelassen.

Ein Buch über die MS Gisela

Die Übergabe der Bücher über die MS Gisela bei der Feierstunde

Zum Jubiläum hat der Verein unter der Federführung von Fritz Eckl und Florian Troeger ein Buch mit vielen Bildern, alten Dokumenten und Erinnerungen der MS Gisela produziert, das beim BYCÜ zu erwerben ist. Zum Abschluss des Festaktes übergaben der neue Vorsitzende Matthias Koch und Fritz Eckl verdienten Clubmitgliedern jeweils ein solches Buch als Dankeschön.

Bild: Jäckle, Reiner

Hafenbarkasse

Bild: Jäckle, Reiner

Das typische Schiff, das im Hamburger Hafen eingesetzt wurde, ist ein Typ von kleinen, motorisierten Binnenschiffen, der sich für die Erfüllung verschiedener Hilfsaufgaben des Verkehrs zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte. Die Blütezeit der Hafenbarkassen erlebte der Schiffstyp von den 1920er bis zu den 1960er Jahren. Mit den Strukturveränderungen im Hafenbetrieb weg von Stückgutumschlag und dem Aufstieg des Containerumschlags verloren sie für die Hafenwirtschaft weitgehend ihre Bedeutung. Bis heute werden sie noch nahezu ausschließlich für Hafenrundfahrten und Ausflüge auf der Unterelbe und in der Speicherstadt eingesetzt.

MS Gisela

Die MS Gisela war von 1922 bis 1968 im Hamburger Hafen als Hafenbarkasse unterwegs. Im April 1968 wurde sie nach dem Kauf vom Bodensee Yacht Club Überlingen mit der Eisenbahn nach Friedrichshafen transportiert. Dort wurde sie im Hafen eingewassert und fuhr über den Seeweg nach Überlingen. Seitdem dient sie als Club- und Regattaschiff des BYCÜ.

Technische Daten

Hersteller: Schlüter Werft Üttensee
Typ: Hafenbarkasse
Baujahr: 1922
Länge: 12,80 m
Breite: 3,00 m
Tiefgang: 1,16 m
Verdrängung: 12,5 t
Maximale Personen: 25
Motor: MWM 68 PS (1922); Mercedes OM 321 95 PS (1979)